Es ist vorbei und beginnt jedoch ganz neu

[jpg] Drei Jahre dauert die Intendanz bei der Ruhrtriennale, dann wird der Stuhl des Intendanten wieder neu besetzt. Der neue Intendant findet alle Bühnen und Hallen leer vor; selbst der Vorhang wurde entfernt. Bereit für neue Ideen, bereit die verwaisten Hallen mit Leben zu füllen. Und so sind die Spielstätten in Bochum, Essen, Duisburg und Gladbeck nunmehr einer gewissen Tristesse ausgesetzt, zumal denn aber auch weil nunmehr die dunklen, feuchten und kalten Tage bis zum Beginn der neuen Intendanz vorherrschen werden.

Ruhe kehrt also in die Hallen ein, bis zum wahrscheinlich 16. August 2012. Dann wird unter der neuen Intendanz von Professor Heiner Goebbels aus Gießen sich zum ersten mal der Vorhang  für die Ruhrtriennale 2012 – 2014 öffnen. „Surrogate Cities“ heißt eines seiner herausragenden Werke in welchem die heutige Großstadt in ihrer Urbanität, also in ihrer Geschwindigkeit, Unbeständigkeit oder ihrem Wechsel, Rhythmus und ihrer Konfrontation mit jedem Einzelnen, beschrieben wird. Diese künstlerische Auseinandersetzung mit der modernen Großstadt passt punktgenau zu einer vielleicht werdenden Metropole Ruhr. So wird Professor Goebbels sicherlich einmal ganz andere Akzente in seiner Intendanz setzen, eben passend zu diesem schon lange andauernden Wandel der Metropole Ruhr.

Aber wenn ich diesen Artikel schreibe, schreibe ich diesen unter dem Eindruck der Verabschiedung von Professor Willy Decker mit einem 5 x 5 Meter großen Mandala in der Jahrhunderthalle Bochum.

Kulturministerin Ute Schäfer beschrieb eine gewisse Wehmut als sie den Weg zur Jahrhunderthalle anlässlich der Pressekonferenz zur Jahrhunderthalle herauf fuhr.

Vier Mönche aus Bhutan saßen und knieten vor und auf einem altarähnlichen Podest. Stille, nichts als Stille unterbrochen vom Klicken der Kameraverschlüsse. Bunter Sand wurde zwischen den Fingern der Mönche auf die vorgezeichneten große Fläche gestreut.Ein Mandala ist wie ein Palast in dem alle guten Gedanken aber auch der Atem sich treffen. Dieser Palast wird wie von oben gezeichnet mit dem extra angefertigten Sand „aufgestreut“. Es liegt ein 3D Gebilde (Palast) zugrunde, das sodann in 2D „gestreut“ wird.

   

 In einer früheren Unterweisung habe ich erfahren, dass es mehrere Buddhas gab. Die Vorstufe eines Buddhas ist ein Bodhisattva im Mahayana-Buddhismus. Und in diesem gestreuten Mandala treffen sich alle Buddhas und Bodhisattvas die für die Meditierenden sichtbar sind. Sie erfahren von allen Wünschen, Gebeten, Gedanken der sie umgebenen Personen. „Karuna“ heißt das Stichwort was im Buddhismus eine zentrale Rolle spielt. Und „Karuna“, was soviel wie mitfühlen oder auch mitleiden ( nicht i.S. von einem herablassenden Mitleid) bedeutet, nimmt alle diese in der meditativen Anfertigung des Mandalas erfahrenen feinstofflich anhaftenden Gedanken auf.

Dieser Palast Ruhrtriennale hatte viele gute Taten während der Intendanz von Professor Decker. Denken wir an die Premiere am 22. August 2009. Es war „Moses und Aron“ von Arnold Schönberg womit Professor Decker die Metropole Ruhr in der Jahrhunderthalle Bochum bekannt machte. Moses dem das Wort fehlte um es zu verkünden und Aron der es zwar kannte jedoch nicht anwenden konnte. 2010 starb im August Christoph Schlingensief der für dieses Jahr fest eingeplant war. Er sollte mit dem „Projekt S.M.A.S.H“ die Kunst der Gesellschaft neu auflegen: Die Kunst als Überlebenskämpferin der Menschheit. Das Henze Projekt mit „Gisela und dann 2011 mit „Tristan und Isolde“ ein Finale das alle in seinem Bann zog und erzittern lies. Decker brachte uns die Spiritualität näher: Der offene Geist der alles zu bewegen im Stande ist.

Das Scheitern des Einzelnen welches einen Neubeginn mit einer ungeahnten Kraft erbringt.

Was mich begeisterte: Es waren immer wieder viele junge Menschen bei den Aufführungen zu sehen. Es waren auch ganz einfache Zuschauer in den Hallen, die begeistert und nachdenklich den Aufführungen folgten.

Als ich mich mit Professor Decker über seine Wünsche unterhielt, so wusste er mir nichts geringeres als den weltlichen Frieden anzubieten. Geht es nicht kleiner, so meine Frage? Es ist schon klein genug, so Decker.

Und dann kam am Sonntag, dem 9. Oktober der Tag an dem das Mandala zerstört werden sollte.

 

Die Zerstörung des Mandala sollte vor einem großen Publikum [800 Gäste] in einem feierlichen Akt vorgenommen werden. Und es kamen auch Ministerin Ute Schäfer, Bundestagspräsident Norbert Lammert, Staatsekretär Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff um nur einige zu nennen, die wir sehen konnten.

   

Das Vokalensemble Chor Werk Ruhr stimmte uns mit einer mittelalterlichen Sequenz für Frauenstimmen von Hildegard von Bingen „De sancto Ruperto“ ein. Der Frauenchor sang in der Halle aus dem Hintergrund. Dann das „Lux aeterna“ ( Ewiges Licht ) von György Ligeti und dann „A Rose Is a Rose Is a Round“ von James Tenney. Jetzt stand der 16 stimmige Chor vorne gegenüber den Mönchen aus Bhutan. Die Leitung hatte Rupert Huber. Bis hier war es ein sehr, sehr feierlicher und gefasster Akt europäischer Prägung.

   

Als der Chor unter Applaus nach hinten abging, setzte nunmehr der Mönch Lopen Ugyen Dorji mit seinem rituellen Gesang ein. Es sind die Worte der Vorbereitung die notwendig sind um den eigentlichen Akt, die Zerstörung des Mandala, auszuführen. Von vier Seiten ging Dorji das Mandala an um mit einem Diamanten das Mandala zu zerstören. Wobei Zerstörung ist ein zu hartes Wort für diese Handlung. Denn wir sind es ja selber die in diesem Mandala sind, zwar nur unsere Gedanken, aber immerhin. Es ist mehr ein mitfühlendes öffnen der Zeichnung ( Palast ! ). Denn immerhin haben sich in diesem Mandala alle Buddhas und Bodhisattvas für einen kurzen Augenblick versammelt, und das sind nach den bekannten Aufzeichnungen nicht wenige. Auch das Zusammenfegen des Sandes ging mit der höchsten Achtsamkeit vor sich. Drei Gefäße wurden mit Sand gefüllt. Ein Gefäß wurde mit einer feierlichen Prozession dem an der Jahrhunderthalle gelegenen Gewässer übergeben. Das war es? Ja, mit dieser Handlung sind alle Inhalte der Intendanz von Professor Willy Decker dem Gewässer über geben worden.

   

Das schöne an dieser Geschichte ist, Deckers Jahre sind nicht weg, sie wurden dem unendlichen Universum gegeben. Jetzt ist der Platz geschaffen worden, das Neue kann kommen. Und wenn jemand irgendwo auf der Welt das Gefühl hat, genau das habe ich schon mal gesehen, gespürt, gefühlt,  es ist dann der nicht mehr anhaftende Geist der Ruhrtriennale 2009 – 2011 der in diesem Moment anwesend war.

Ich könnte jetzt noch Zahlen ohne Ende aufschreiben um ihnen zu sagen, was die Intendanz eines Professor Decker doch für ein Erfolg war. Aber was ist die Essenz dieser Intendanz? Nun, ich denke unter dem Eindruck der Zerstörung des Mandalas würde sehr gut ein sehr bekanntes Haiku passen:

 

Diese Tautropfen-Welt

Mag ein Tautropfen sein,

Und doch…

(Kobayashi Issa)

Kobayashi Issa schrieb dieses Haiku unter dem Eindruck des Verlustes seines Lieblingssohnes.

Übrigens fiel mir das Ende dieses Artikels ein als ich eine Besucherin mit einem Band von Haikus sah. Sie hatte so etwas heiteres an sich als ich mit ihr ins Gespräch kam. Vielleicht hatte sie die Gedanken in sich die das Sandkorn eines anderen Mandalas in ihr geweckt hatte. Wer weiß.

Von unserer Seite wünschen wir Herrn Professor Willy Decker alles Gutes auf seinem weiteren Weg und die heitere Gelassenheit die notwendig ist um ein Vorwärtskommen auf dem Weg, seinem Weg,  zu erreichen.

 

 

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Bochum

 

[alle Fotos © Linde Arndt]