Crossmedia, oder was? Grimmepreis 2015

[jpg] Etwas mehr Mut, war eine Forderung an die Fernsehmacher. Bitte sehr, im 51. Grimmejahr 2015 hat es etwas mehr Mut gegeben.

Dabei wäre es den öffentlich rechtlichen ein Leichtes einmal mit großem Mut die Einschaltquote abzuschalten und etwas zu wagen. Den Auftrag haben sie ja und die Finanzierung ist durch die Gebühren auch gesichert. Wenn es schief geht, kann man ja den Gärtner feuern, der sich als Programmmacher ausgegeben hat.

Manch einer musste sein Notebook mit dem Fernseher verbinden um sich dann, über die ARD Mediathek, den Tatort vom HR „Im Schmerz geboren“ anzusehen. Es war ein ungewöhnlicher Tatort, anders als die eingespielten Tatorte die mehr oder weniger so dahin plätschern. Ein Garagenbesitzer (Alexander Held) der eine Shakespeare Bühne hat und ab und an seinen Angestellten aus den Stücken dieses großen Dichters zitiert. Held ist aber auch noch der Hintergrunderzähler und Chronist. Und, es waren noch nie so viele Tote, 55 an der Zahl, zu sehen wie in diesem Tatort. Ulrich Matthes (Richard Harloff) und Ulrich Tukur (Kommissar Murot), ehemalige Freunde treffen aufeinander und haben eine Rechnung der Rache zu begleichen. In keiner Sekunde traut man sich die Toilette aufzusuchen – Spannung pur. Wegen der Toten? Nein, wegen dem Format, der Story und der großartigen Schauspieler, die man offensichtlich von der Leine gelassen hatte. Für deutsche Verhältnisse ein mutiger Film – weiter so, so was brauchen wir.

Jochen Stern  Foto: Linde Arndt

Jochen Stern Foto: Linde Arndt

Ilse Strambowski  Foto: Linde Arndt

Ilse Strambowski Foto: Linde Arndt

 

„Altersglühen – Speed Dating für Senioren“ vom WDR/NDR. Autor und Regisseur Jan Georg Schütte gibt seinen Darstellern jede nur erdenkliche Freiheit, eine Person zu spielen für die es kein Drehbuch gibt. Es gibt einen Namen und eine kurze Vita und ab zum Speed Dating. Die 13 Darsteller sind alles gestandene Schauspieler von 60 bis Mitte 80. Es bleiben immer sieben Minuten um sich bei seinem Gegenüber ins rechte Licht zu setzen. Dann der nächste Tisch mit dem nächsten potenziellen Partner. Angela Winkler als Clara Bayer sucht einen Partner der sie bei einer Russlandreise begleitet. Hildegard Schmahl als Verlegerin Martha Schneider  möchte  wieder die Wärme eines Menschen erfahren oder Mario Adorf als Johann Schäfer der nicht so recht weiß was er bei einem Speed Dating soll. Es liegt über dieser Sendung ein Reiz, ein Zauber, eine Traurigkeit, eine Komik, Irritationen; man möchte in die Szene springen und allen diesen lieben Menschen das Beste wünschen. Als ich in Marl Jochen Stern und Ilse Strambowski sprechen durfte, waren die beiden immer noch beglückt von der Freiheit des Spiels. Was soll man sagen, geht doch?

Mr. Dicks - Screenshot  Grimme-Preis Verleihung 28-3-2015 ©  WDR

Mr. Dicks – Screenshot Grimme-Preis Verleihung 28-3-2015 © WDR

Team Mr. Dicks  Foto: Linde Arndt

Team Mr. Dicks v.l. Philipp Käßbohrer (Regie), Jochen Rausch (WDR), Thilo Jahn (Buch), Matthias Murmann (Produktion) Foto: Linde Arndt

Das crossmediales Projekt „Mr. Dicks – Das erste wirklich subjektive Gesellschaftsmagazin (EinsFestival/ WDR)“ zeigt den Weg zum alles vereinenden zusammen wachsen. Radio, Fernsehen Smartphone und Internet finden eine gemeinsame Plattform.

Und was geboten wird ist der reinste Wahnsinn. Mr. Dicks mit seinem Flamingo sind Kunstfiguren, die ein Thema irendwie durch den Fleischwolf drehen. Das Thema wird von allen Seiten betrachtet, nicht vollständig, sondern willkürliche Aneinanderreihungen von Multimedialen Elementen, unvollständige und doch irgendwie passend. Die Sprache ist eine Sprache der Jugend, kann aber genauso von der Erwachsenenwelt verstanden werden – coolness ist angesagt. Pate stand dabei 1Live, das erfolgreiche Radioprogramm des WDR. Die ARD auf dem Weg in die digitale Zukunft, oder ist sie schon da?

Spezial: Die Anstalt (18.11.2014) (ZDF).

Nach dem Weggang von Urban Priol, der die Sendung „Neues aus der Anstalt“ im ZDF bis zum Februar 2014 präsentierte, dachte jeder, dass war es. „Die Anstalt“ mit Max Uthoff und Claus von Wagner haben etwas geschafft was niemand für möglich hielt – einen Neuanfang mit Erfolg. Künstlerisch ist die Sendung weit über der Vorgängersendung anzusiedeln. Priol war Unterhalter, nachdenklich und manchmal zu gespitzt anklagend. Utthoff und von Wagner sind Überzeugungstäter, die für jede Sendung ein neues Konzept entwerfen. Rücksichtnahme ist bei diesen nicht angesagt. Wer sich im Mainstream versteckt wird unerbittlich auf die Bühne gezerrt.

Versprechen aus der Vergangenheit werden mit Ross und Reiter dem Publikum präsentiert. Konventionen gibt es nicht bei den beiden, Regelbrüche sind eingeplant. Und immer sind es Wege die man so nicht erwartete. Mehrere Prozesse hat die Anstalt schon über sich ergehen lassen müssen – alle gewonnen. Inzwischen gehasst bei Politikern und auch Journalisten.

In der Sendung vom 18. November wurden die DDR Mauerschützer mit den Grenzschützern der EU Behörde Frontex gleichgesetzt. Die DDR hat an ihrer Grenze Menschen erschossen, die EU Frontex lässt die Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken. Eine Unverschämtheit, und das im Jahr 25 des Mauerfalls. Die Sendung klang aus mit einem Chor syrischer Flüchtlinge, die vor dem ertrinken gerettet wurden. Sie sangen ein Friedenslied ihrer Heimat, die in Schutt und Asche liegt.

Zu solch´einer Sendung gehört Mut, weg von der Dampfplauderei eines Günther Jauch.

 Grimme-Preis 2015  v.l. "Männertreu" - Mehmet/ Dorn/ Huntgeburth/BorsodyFoto: Linde Arndt

Grimme-Preis 2015 v.l.: „Männertreu“ – Maxim Mehmet/ Thea Dorn/ Hermine Huntgeburth/Suzanne von Borsody
Foto: Linde Arndt

Und noch ein Grimmepreis der Film „Männertreu“ (HR) mit Matthias Brandt , Suzanne von Borsody und Maxim Mehmet . Es geht um den Weiberheld und Zeitungsverleger Georg Sahl der von Matthias Brand gespielt wird. Georg Sahl, der verheiratet ist, bekommt mit einer seiner jungen Geliebten ein Beziehungsproblem, welches mit einem Unfall tragisch endet.

Es geht um Macht, Macht in vielerlei Hinsicht. Politisch, medial und sexueller Art sind als Machtstrukturen in diesem Film fühlbar. Jeder der Protagonisten setzt seine Machtposition ein um die eigene Vorteilsposition zu halten, wenn nicht gar auszubauen. Der Film hat kein gängiges Ende in der der Böse fällt. Nein, er geht weiter als wenn es nur um eine zu vernachlässigende Episode gegangen wäre. Es fehlt doch was. Ja, und dieses fehlende kann vor dem Bildschirm ausdiskutiert werden – warum sollen wir dieser Einladung nicht folgen.

 

Wir wollen den geneigten Leser nicht überfordern, es sind noch mehr Filme ausgezeichnet worden, sicherlich allesamt verdient. Wir fanden diese Sendungen für deutsche Verhältnisse sehr mutig und sicher für den europäischen Geschmack vollkommen geeignet. Wobei immer mal wieder die Frage aufkommt, wo bleibt eigentlich der europäische Grimmepreis? Die Grenzen sind doch schon lange gefallen, warum nicht im Medienbereich.

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Marl

Jede Menge Fotos vom Grimme-Preis 2015 gibt es auf   http://www.lindearndt.de/index.php?/category/121