Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar

  … Nun steckt aber in jedem Fall, auch im alltäglichsten von Liebe,
der Grenzfall, den wir, bei näherem Zusehen, erblicken können und
vielleicht uns bemühen sollten, zu erblicken.
 
  Denn bei allem, was wir tun, denken und fühlen, möchten wir manchmal bis zum Äußersten gehen.
        Der Wunsch wird in uns wach, die Grenzen zu überschreiten, die uns gesetzt sind. Nicht um
mich zu widerrufen, sondern um es deutlicher zu ergänzen, möchte ich sagen:
Es ist auch  mir gewiß, daß wir in der Ordnung bleiben müssen, daß es den Austritt
aus der Gesellschaft nicht gibt und wir uns aneinander prüfen müssen.
Innerhalb der Grenzen aber haben wir den Blick gerichtet auf das Vollkommene, das Unmögliche, Unerreichbare, sei es der Liebe, der Freiheit oder jeder reinen Größe. Im Widerspiel des
Unmöglichen mit dem Möglichen erweitern wir unsere Möglichkeiten. Daß wir es erzeugen,
dieses Spannungsverhältnis, an dem wir wachsen, darauf, meine ich, kommt es an;
daß wir uns orientieren an einem Ziel, das freilich, wenn
wir uns nähern, sich noch einmal entfernt. …
 

[jpg] Mit diesem Titel und diesen Worten hielt Ingeborg Bachmann 1959 im damaligen Deutschen Bundestag eine Dankesrede für die Verleihung des Hörspielpreises der Kriegsblinden. 7 Jahre kannte sie den Komponisten Hans Werner Henze schon. Von Anfang an erkannten die beiden Künstler ihre Seelenverwandschaft. Es entwickelte sich daraus eine wunderbare Freundschaft, die sich nicht nur auf eine gemeinsame Arbeit erstreckte. So schrieb Ingeborg Bachmann die Libretti zu Henzes Opern "Der Prinz von Homburg" und "Der kleine Lord". Auch entstand ein intensiver Briefwechsel der nur durch die Episoden des gemeinsamen Arbeitens unterbrochen wurde. "Wir sind da, um kreativ zu sein……", so schrieb Henze 1965 an Bachmann.

Nun fand im Theatersaal "Unna-Massimo" am 21. November die Lesung dieses Briefwechsels im Rahmen des Henze Projektes der Ruhr2010  statt.

Angela Winkler (Die verlorene Ehre der Katharina Blum)  las die Briefe von Ingeborg Bachmann und
Wolf Wondratschek, einer der bekanntesten deutschen Schriftsteller  las die Briefe von Hans Werner Henze.

Das Rahmenprogramm gestalteten:

Jan Latham-Koenig (Klavier), Frank Reinecke (Kontrabass), Anette Slaatto (Viola) und Helge Slaatto (Violine).
 
Es kamen Werke von Hans Werner Henze zur Aufführung.

Vor rund 300 Zuschauern lasen Winkler und Wondraschek den Schriftwechsel feinfühlig, sensibel und mitfühlend vor, so als wenn die beiden Schreibenden ihren Dialog selbst im Saal vortrugen. Nun haben solche Briefe, zumal wenn sie in tiefer Freundschaft geschrieben werden, etwas Intimes an sich. Und es ist nicht üblich vor dem Tode der Verfasser diese Briefe einem Publikum zugänglich zu machen. Hans Werner Henze wurde jedoch vorher befragt und erklärte sich damit einverstanden. Der Briefwechsel dauerte 20 Jahre an endete also kurz vor dem Feuertod von Ingeborg Bachmann.

Beide Künstler hatten ein inneres Bedürfnis die Welt zu verändern, wobei die Veränderungen nicht weniger und nicht mehr als eine Weltrevolution sein sollte. In ihrem Bestreben Besonderes zu leisten, was vor  ihrem hohen Anspruch Bestand hatte, suchten sich beide um sich zu halten und zu bestärken. Immer wieder wurde bei beiden Italien, vornehmlich Rom, als Rückzugsgebiet erachtet.

Die Briefe offenbarten eines, diese Beiden waren über die Entfernung eine Paarbeziehung eingegangen, mit allen Banalitäten und Besonderheiten. Da offenbart Bachmann ihre Traurigkeit, weil ihr seine Nähe fehlt. Nach einem Treffen schreibt sie ihm von ihrer Kraft ein gerade begonnenes Projekt fast zu Ende gebracht zu haben. Henze spricht von Heirat und erkennt sogleich die Dimension der Endgültigkeit der persönlichen Freiheit. Enge konnten beiden nicht so recht ertragen und doch suchten sie die Nähe des Anderen. Es gab Sehnsüchte nach dem Banalen, wie dem anderen mitzuteilen, wie man sich ihn wünschte. Freude an dem Erfolg des Anderen aber auch dem eigenen Erfolg schrieben beide ihrer Freundschaft zu. Dann wieder der tiefe Fall nach einer langen Zeit des Alleinseins. Der Zorn über die gesellschaftlichen Unzulänglichkeiten. Oder die Eifersüchteleien in welchem er es nicht in Ordnung fand, dass ein neuer Freund sie vor seinen Augen streichelte.

Dann lernten beide jeweils einen Partner kennen, mit dem sie Gemeinsamkeiten entwickelten. Diese neue Situation schadete ihrer Freundschaft aber nicht, im Gegenteil. Das neue Hochgefühl teilten sich beide mit. Aber auch ihre Zweifel,  ob die neue Partnerschaft Bestand haben könnte, schlug sich in den Briefen nieder. Von nun an waren die Partner mit in den Briefen emotional anwesend. Man merkte die Höhen und Tiefen die die neuen Beziehungen erbrachten. Ich glaube es muss die Beziehung mit Max Frisch gewesen sein, die Bachmann einesteils inspirierte aber auch gegen Ende der Beziehung zutiefst deprimierte. Hier war ihr Henze der Freund schlechthin, der sie trug, forderte und nicht alleine liess. Ich kann dich nur achten, wenn du deine Arbeit nicht vernachlässigst. Deshalb nehme mir meine Achtung nicht zu dir, so schrieb Henze sinngemäß an Bachmann. Aber nicht nur Bachmann durchlebte Krisen, auch Henze brach emotional zeitweilig ein. So verzweifelte er wenn es mit seinen Werken nicht so gelang, wie er es sich vorstellte. Zerriss seine Arbeit mehrmals um sie sodann neu zu machen. Bachmann wusste ihm Geduld nahezubringen, wusste sein Ego zu streicheln um ihn zu besänftigen.

Alles in allem litt Ingeborg Bachmann jedoch mehr als Hans Werner Henze. Er wusste zwar um ihre tiefen Depressionen, er wusste aber nichts von ihrer Tablettensucht. Ich glaube Ingeborg Bachmann wusste nicht ihre Träumen und Wünsche mit der Realität in Einklang zu bringen. Zu tief war ihre Sehnsucht nach dieser anderen besseren Welt. Henze ist in dieser Beziehung etwas stärker indem er  diese beiden Enden eben als Enden zwar nicht akzeptierte, sich aber Rückzugsgebiete schaffte in welchen er überleben konnte. Beide Menschen, und das hört man aus den Briefen heraus, sind höchst zerbrechliche Wesen die der Glaube an das Reine und Schöne verband.

Hans Höller schrieb über beide:"….sie haben ihre unverwechselbare Besonderheit darin, dass ihnen die Freude nicht verschwunden ist, das Pathos nicht verendet und noch etwas zum Feiern da ist".

               
  Fotos:  EN-Mosaik
 

Es sind manchmal die kleinen Projekte die eine Größe entwickeln die ihresgleichen suchen, so würde ich diese Lesung im Theatersaal "Unna-Massimo" Unna Massen benennen. So hat die Mommenta einmal mehr ein hochkarätiges Projekt  in seinem Netzwerk zur Aufführung gebracht.

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Unna-Massen