Wird der Vernunft noch eine Chance gegeben?

Krisensitzung der EU-Aussenminister 3.3.2014 in Brüssel Foto: © Linde Arndt

Krisensitzung der EU-Aussenminister 3.3.2014 in Brüssel
Foto: © Linde Arndt

[jpg] Die Situation ist ziemlich verfahren. Der Westen, unter der Führung der USA, hat sich auf die neue ukrainische Führung eingeschworen die mit einem Umsturz ans Ruder kam. Man hat den Eindruck, alle gegen Russland. Nur was bringt das? Einen Nervenkitzel, der uns alle an den Rand eines neuen Krieges bringt? Man sollte dieser Tage ein gutes kalibriertes Koordinatensystem haben, welches einen gut durch das Geflecht von Lügen, Spekulationen und Halbwahrheiten führt.

Zur Erinnerung:

2013 wurden die Verhandlungen über ein Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine unterschriftsreif abgeschlossen. Die Unterschrift sollte auf dem EU Gipfel in Vilnius Ende Nov. 2013 von den Vertragspartnern vollzogen werden. Nebenbei sollte die ehemalige Ministerpräsidentin Julija Tymoschenko zur Therapie nach Deutschland ausreisen dürfen. Es kam nicht zu dieser Unterschrift. Die EU war bestürzt, mühte sich aber der Ukraine die Tür nicht vor der Nase zu zu schlagen. Der Grund: Der russische Präsident soll interveniert haben und der Ukraine ein Ultimatum gestellt haben, entweder die EU oder Russland, so wurde es kommuniziert. Die erste Halbwahrheit! Tatsächlich hatte Putin die Ukraine auf den Wegfall der Zollunion mit der von Putin als Gegengewicht zur EU angestoßenen Eurasischen Union hingewiesen. Die Konsequenz wäre für die Ukraine, dass sie nicht mehr die Zollfreiheit erhalten würde und könnte. Wirtschaftlich wäre dies für die Ukraine fatal, stand und steht sie doch vor der Entscheidung ihre Währung abzuwerten weil ihre Produkte zu teuer sind. Jahr für Jahr überstiegen „unbemerkt“ die Importe die Exporte. Ein weiteres Problem, Gas und Erdöl, welches von Russland eingeführt wird, wird durch die ukrainische Regierung seit Jahren subventioniert. Allein diese beiden Punkte führten zum immer schnelleren Verbrauch der Geld- und Devisenreserven. Für 2014 stehen 7 Mrd. Dollar Rückzahlungen oder Umschuldungen an, wobei von Russland Forderungen von 20 Mrd. Dollar aus Gaslieferungen fällig gestellt sind. Die Zahlungsunfähigkeit drohte und droht, wenn kein frisches Geld in die Kasse kommt.

Parallel demonstrierten tausende auf dem zentralen Majdan Platz in Kiew gegen die exorbitante Korruption der herrschenden Klasse. Seit der orangenen Revolution von 2004 hat sich jede ukrainische Regierung von Wiktor Juschtschenko über Julija Tymoschenko bis hin zu Wiktor Janukowytsch „bedient“. Das Ausmaß war und ist gewaltig; denn nicht nur die obersten Entscheider bedienen sich, es bedient sich auch der kleine Dorfpolizist von nebenan wie selbstverständlich. Die Unzufriedenheit der Ukrainer mit ihrem System nahm denn auch Ausmaße an, die man an brennenden Reifen oder Autos gut sehen konnte. Und die Möglichkeit der Manipulation war in dieser Atmosphäre ein Leichtes.

Verwundert rieb man sich die Augen als nach dem Gipfel in Vilnius die Demonstranten auf einmal alle in die EU wollten. Nicht die Korruption war jetzt das Problem, sondern das verhinderte Assoziierungsabkommen mit der EU. Und die Gewaltspirale drehte sich schneller. Die Staatsmacht griff ein und versuchte die Gewalt in den Griff zu bekommen, was misslang. Die ersten Schüsse fielen, Molotow Cocktails wurden gegen die Polizisten geworfen. Es gab Tote und Verletzte auf beiden Seiten. Die Anführer auf dem zentralen Majdan Platz bekamen ihre Gruppen nicht mehr in den Griff. Das Ganze lief aus dem Ruder. Zuletzt waren an einem Tag 100 Tote gezählt worden.

Und wieder wurde die Wahrheit untergraben; denn Tote wurden nur auf Seiten der „friedlichen“ Demonstranten gezählt. So konnte es nicht mehr weiter gehen.

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In dieser Situation machten die EU Außenminister Steinmeier und das sogenannten Weimarer Dreieck, Laurent Fabius aus Frankreich und Radoslaw Sikorski aus Polen einen dramatischen Schlichtungsversuch zwischen den Demonstranten und dem Präsidenten Wiktor Janukowytsch.

Er gelang, man einigte sich auf Neuwahlen spätestens zum März 2014, Beteiligung der Demonstranten an der Regierung innerhalb von 10 Tagen und eine Rückkehr zur Verfassung aus dem Jahre 2004. Die EU Außenminister waren es zufrieden, zeigten sich auf dem Majdan mit einigen ukrainischen Führern den Demonstranten und verschwanden.

Ein paar Stunden später war diese Vereinbarung keinen Cent mehr wert. Gegen Abend machte sich Präsident Wiktor Janukowytsch mit Hubschrauber „aus dem Staub“. Später wird er sagen, er und seine Familie wurden bedroht.

Das es diese Bedrohung gegeben hat, spricht dafür, dass kurz nach Abflug des Präsidenten ein Haftbefehl gegen Wiktor Janukowytsch wegen „Massenmords“ ausgestellt wurde. Und es wurde „der erste Stein“ gegen Russland geworfen. Nach einem eiligst aufgestellten Gesetz sollte russisch als zweite Amtssprache verboten werden. Eiligst wurde auch per Akklamation auf dem Majdan in Kiew die neue Regierung gewählt. Ob auf dem Platz Ukrainer oder wer auch immer standen, wen kümmerte es. Jeder durfte abstimmen, überprüft wurde da nichts. Man wollte unumkehrbare Fakten schaffen. Heraus kam denn auch eine „bunte“ Mischung von Mitte bis rechts außen Politikern, die die Regierungsgeschäfte übernahmen. Die Demonstranten oder wer auch immer das auf dem Majdan war, waren es zufrieden. Von Korruption war nunmehr keine Rede mehr. Ach ja, da war doch noch die Ministerialdirektorin im US Außenministerium, Victoria Jane Nuland in Kiew, die in einem Telefongespräch mit dem US Botschafter in der Ukraine, Geoffrey Pyatt diesem gesagt hat: „Fuck the EU“.

[caption id=“attachment_2905″ align=“alignright“ width=“350″]Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik und Erste Vizepräsidentin der Europäischen Kommission Catherine Ashton   Foto: Linde Arndt Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik und Erste Vizepräsidentin der Europäischen Kommission Catherine Ashton
Foto: © Linde Arndt[/caption]

Nuland wollte mehr Härte gegenüber den Ukrainern und den Russen (?) im Lande, ihr waren die Gespräche, die die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik und Erste Vizepräsidentin der Europäischen Kommission Catherine Ashton mit allen Beteiligten führte zu lang, zu weich und nicht zielführend. Nuland soll diesen Umsturz mit Geldern der USA finanziert haben und dafür sollte es jetzt Erfolge geben. Es sollten unumkehrbare Fakten geschaffen werden.

Das sich in Kiew der von den Deutschen favorisierte „Preisboxer“ Vitali Klitschko mit seiner 12% Partei rumtrieb und ab und an brav etwas zum Besten gab, mag als Marginalie in diesem Spiel erwähnt werden.

 

Dann verschoben sich auf einmal die Betrachtungen und damit das Krisenszenario auf die Halbinsel Krim. Dort leben rund 60% der Bevölkerung mit russischem Hintergrund, dort befindet sich im Hafen der Stadt Sewastopol die Schwarzmeerflotte Russland. Wie aus dem Nichts tauchten auf einmal Kombattanten auf. Ohne Hohheits- und Rangabzeichen waren sie keiner nationalen Gruppe zuzuordnen. Bewaffnet und in Camouflage-Uniform patrouillierten sie durch die Straßen der Krim Hauptstadt Simferopol und der Hafenstadt Sewastopol. Und es wurden immer mehr, zuletzt werden es an die 8.000 Mann gewesen sein. Sie bewachten die ukranischen Kasernen, Flughäfen, öffentlichen Gebäude aber auch den Regierungssitz. Die Unruhen in Kiew und die daraus entstandene Russenphobie schlug nicht auf die Krim über. Die Kombattanten wurden der russischen Bevölkerungsgruppe zu geordnet. Bis heute fielen nur Warnschüsse auf der Krim. Kein Mensch kam zu Schaden wie in Kiew, die Präsenz der kampfbereiten Kombattanten genügte. Während es im Georgienkonflikt 2008 noch zu Zerstörungen, Toten und Verletzten der Bevölkerung mit russischen Hintergrund kam, blieb es auf der Krim ruhig.

In dieser Situation wurde eine Sondersitzung der 28 Außenminister der EU in Brüssel anberaumt. Alle Pressevertreter erhielten die Pressemitteilung, dass am Nachmittag eine Pressekonferenz stattfinden würde. Unter Leitung der Hohen Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik und Ersten Vizepräsidentin der Europäischen Kommission Catherine Ashton wurde um 13:00 h die Sitzung im Justus-Lipsius-Gebäude, dem Sitz des Rates der europäischen Union eröffnet.

Alle internationalen Journalisten saßen auf heißen Kohlen, die Zeichen standen nicht gut für Europa. Die USA, Russland und die Umstürzler in Kiew diktierten die Abläufe. Erlöst wurden wir alle, als um kurz vor 19:00 Uhr Catherine Ashton vor die Presse trat. Sie verlas eine Erklärung in der sie Russland als Aggressor bezeichnete. Russland solle seine Armeesoldaten wieder in die Kasernen zurück beordern und den direkten Dialog mit der „Interimsregierung“ in Kiew suchen.

Dies und nur diese Art des Umgangs zwischen den Staaten würde die Unterstützung der EU finden.

Ansonsten wurde für Donnerstag, den 5. März der Rat der EU (Consilium ) tagen um weitere Schritte, wie Sanktionen, zu beschließen. Angedacht wurde die Bildung einer Fact-Finding-Mission um die unsichere Informationslage zu beseitigen und die Bildung einer Kontakt-Gruppe um eine Lösung des Konflikts herbei zu führen.

Das Leben geht weiter. Schon heute findet eine Sitzung im Rahmen der OSZE in Paris statt, der man den Status einer Kontakt-Gruppe zuschreibt. Gleichzeitig finden zwischen Russland und der Ukraine auf Ministerebene Gespräche statt.

Pressetermin  mit Lady Ashton  Foto: © Linde Arndt

Pressetermin des Außenministertreffens in Brüssel Foto: © Linde Arndt

Was allerdings alle beteiligten Journalisten am Montag störte, die EU hatte sich nicht aufraffen können eine Vermittlerposition einzunehmen, obwohl Catherine Ashton erste Gespräche mit der Ukraine geführt hatte. Das die weiteren Gespräche unter der Ägide der USA stattfinden sollen schränkt mal wieder die Selbstständigkeit Europas, seine eigenen Probleme zu lösen, ein.

Ach ja, 7 Milliarden Dollar haben die EU und die USA an Kreditzusagen und Bargeld der neuen nicht gewählten ukrainischen Regierung als Anschub Finanzierung in Aussicht gestellt. 1 Milliarde haben die USA als Kreditzusage mit gebracht. Nur, die Ukraine braucht schon 2014 37 Milliarden Dollar. Und das ist nicht alles, wenn wir uns die Krise in Griechenland betrachten. Ob die Ukrainer aber bereit sind, den Preis, Abwertung der Landeswährung bei gleichzeitigem Lohnverzicht, für die Abkehr von Russland zu zahlen, wagen viele zu bezweifeln. Schon jetzt ist die Ukraine destabilisiert, wie wird es morgen aussehen?

Jürgen Gehardt für EN-Mosaik aus Brüssel.